Interview Ermittlerinnen

Frager: Schön, dass Ihr hier seid. Seid Ihr eigentlich verrückt?

Alexis Lekto & Mea Gaira: Warum?

Frager: Eine solche Nummer durchzuziehen und gegen den weltberühmten Walter Faber wegen Mordes an seiner Tochter zu ermitteln!

Lekto: In erster Linie sind wir Ermittlerinnen und somit Gesetzen verpflichtet. Das kann sein, wer will!

Frager: Wie seid Ihr auf Faber als Täter gekommen und warum habt Ihr ihm nicht wie alle anderen seine „Was ist denn meine Schuld“-Nummer abgekauft?

Gaira: Oh, es hat eine Menge Hinweise gegeben: die Aspisviper, die drei Stiche, das Piper-Bibel-Paradoxon, der Demeter-Kore-Mythos, Sonne und Erde und Mond, das Alfa-Romeo-Emblem, Alpha und Omega. All das zusammen hat ihn verraten. Da ist er über seine eigene Schlauheit gestolpert.

Lekto: Und nicht nur das. Verdächtig war, dass er am nächsten Tag, nachdem sie gestorben war, schon abgehauen ist. Zudem sind uns bei den Ermittlungen zum Tathergang Ungereimtheiten am Tatort aufgefallen, die sich nicht durch Zufall erklären ließen. Er hat das in seinem Bericht zugegebenermaßen geschickt formuliert und ausgestaltet. Seine Beschreibung des Ablaufs konnte aber einer faktischen Prüfung durch uns Profis nicht standhalten. Das war jedoch mit das Beste, was mir in meiner langen Laufbahn als Kriminalistin untergekommen ist.

Gaira: Er hat ja schließlich die ganze Welt getäuscht.

Seine Beschreibung des Tathergangs hielt einer faktischen Prüfung durch uns nicht stand.

Alexis Lekto

Frager: Gaira, die drei Stiche waren ja das Erste, was Sie irritiert hat. Können Sie das genauer erklären?

Gaira: Schlangen hinterlassen durch einen Biss nicht drei Stiche. Er hat dabei einen Code eingebaut. Er integriert sozusagen einen Stolperstein, eine Markierung und sagt: „Hey, schaut hier mal genauer hin!“

Frager: Warum sollte er das tun?

Gaira: Er denkt ja, dass er sterben wird. Vermutlich wollte er seiner Seele Erleichterung verschaffen und eigentlich die Wahrheit sagen. Täter haben nämlich nicht selten das Bedürfnis, ein Geständnis abzulegen. In erster Linie wollte er auf seine letzten Tage auch Hanna nicht verlieren. Sie ist die Liebe seines Lebens.

Lekto: Sicherlich spielen Mechanismen wie Macht und Kontrolle ebenfalls eine Rolle. Die Welt hinters Licht zu führen, muss ein erhebendes Gefühl sein.

Frager: Verstehe. Und Sie, Gaira, haben dann genauer hingeschaut?

Gaira: Korrekt. Und wenn man erst einmal versteht, wie der Code funktioniert, dann ist man schnell bei der Bibel, bei dem Demeter-Kore-Mythos und bei der mythologischen Aspisviper. Die Schlange ist stringent. Sie ist der Schlüssel!

Die Schlange ist stringent. Sie ist der Schlüssel!

Mea Gaira

Frager: Code?

Lekto: Gaira meint Allegorie.

Gaira: Man kann das auch so nennen.

Lekto: Gairas Beruf im Zweiten Weltkrieg hat ihr da ein Bein gestellt. Die literarischen Begriffe sind nicht so ihres.

Gaira: Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Ich sage nur Dantes „Höllische Komödie“. [lacht] Falscher geht es nicht!

Lekto: Ach …

Frager: Meine Damen, bitte! Sie meinen Gairas Tätigkeit als Kryptologin im Zweiten Weltkrieg?

Lekto: Ja, genau. Jemand anderes hätte das nie bemerkt. Mir erschien das zwar alles schon von Anfang an ziemlich verdächtig, doch ohne Gairas Entdeckungen wären wir Faber vermutlich nicht auf die Schliche gekommen. Obwohl ich mich auf meinen Instinkt verlassen kann. Aber der ist leider nicht gerichtsverwertbar. Da hätte Kinitos gestreikt, was sie ja bis zu einem gewissen Zeitpunkt auch hat.

Frager: Sie meinen … die Staatsanwältin Xanthia Kinitos?

Lekto: Ja, genau.

Frager: Sie ist heute terminlich bedauerlicherweise verhindert. Wie war die Zusammenarbeit mit ihr?

Lekto: Sie ist brillant. Sie hat die Scherben, wenn man so will, perfekt zusammengeklebt. Bei ihrem Schlussplädoyer sieht man den klaren Zusammenhang.

Gaira: Ja, die letzte Scherbe, um den zerbrochenen Krug wieder eins werden zu lassen, hat sie allein gefunden.

Natürlich spielen Mechanismen wie Macht und Kontrolle sicherlich auch eine Rolle. Die Welt hinters Licht zu führen, muss ein erhebendes Gefühl sein.

Alexis Lekto

Frager: Wer ist auf die Idee gekommen, das Ganze niederzuschreiben?

Lekto: Das war Gaira.

Frager: Und wer von Ihnen hat die Gerichtsakte geleakt?

Gaira: Keine Ahnung, was Sie meinen. Zur vorherigen Frage zurück, ich hatte wegen meines Rückfalls …

Frager: Sie haben ja keine einfache psychische Vorgeschichte …

Gaira: Ja, wegen „akuter polymorpher psychotischer Störung ohne Symptome einer Schizophrenie“ hatte ich eine Menge aufzuarbeiten. Verdrängung funktioniert bei mir nicht. Ich benötige Konfrontation, um Dinge abzuschließen. Das war mit ein Grund. Das Niederschreiben hat mir sehr geholfen. Es waren nämlich äußerst aufreibende Ermittlungen.

Frager: Was war so aufreibend?

Gaira: Ich hatte mich in dem Bericht verloren.

Lekto: Und in Ihrer Küche auch. Meine Güte, das hat dort ausgesehen!

Gaira: Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Mein Ruhepuls lag bei circa 140 Schlägen pro Minute. Ich konnte nicht mehr schlafen. Das hat an meinen Kräften gezehrt.

Frager: Wie haben Sie den Ausgang gefunden?

Gaira: Durch die Lösung des Rätsels. Anders hätte ich es nicht geschafft und wäre jetzt vermutlich in der Klapse.

Frager: Sie, Lekto, sind ja Co-Autorin und kommen nicht immer gut weg, genauer gesagt, erfährt man viel von Ihrer wilden Seite, auch sexueller Natur. Waren Sie mit der Erzählung bezüglich Ihrer Eskapaden auf Anhieb einverstanden?

Lekto: Nein, aber es war die Bedingung von Gaira. Es hatte dann auch tatsächlich etwas Reinigendes. Ich habe mich jetzt besser im Griff.

Frager: Warum habt Ihr eure Sicht der Dinge so schonungslos veröffentlicht?

Gaira: Nachdem der Bericht von Walter Faber, in dem wir praktisch nicht erwähnt wurden, ein solcher Erfolg geworden und dabei seine Unschuldsnummer so überzeugend rübergekommen war, blieb uns nichts anderes übrig, als die Mordermittlungen öffentlich zu machen. Alle Welt denkt ja, er wurde am 19.07. um 08.05 Uhr operiert.

Frager: Mit seinem Schlusssatz: „Sie kommen.“ lässt er das ja mehr oder weniger offen …

Gaira: Ja, genau. In Wirklichkeit haben wir um diese Zeit sein Krankenzimmer betreten und versucht, ihn zu verhören. Im Zuge dessen hat er uns auch seinen Bericht gegeben.

Lekto: Er hat uns einfach verschwiegen. Da mussten wir reagieren. Dass er sich die Uhrzeit gemerkt hat, so genau, ist allerdings witzig.

Frager: Er erwähnt euch ja, nur halt kurz und nicht offensichtlich …

Gaira: Dazu hat Faber sowieso einen Hang. Ich denke, diese Ermittlungen haben nicht in sein Weltbild gepasst. Aber ja, kurz kommen wir in seinem Bericht vor, allerdings nicht namentlich.

Lekto: Und das hat uns sauer gemacht. Da hätte er sich schon denken können, dass das Ganze nicht folgenlos bleiben würde. Oder hat er gedacht, die griechische Justiz würde schlafen?

Gaira: Und eigentlich erwähnt er uns nur konkret in seiner Kompositionsskizze, als wären wir die netten …

Frager: Folgenlos blieb es dann ja nicht. Da wart Ihr gnadenlos. Die Ermittlungen und die Verhandlung haben schließlich zu spektakulären Ergebnissen geführt. Schade, dass sich Walter Faber nicht dazu geäußert hat. Was denkt Ihr, warum er zu den Vorwürfen geschwiegen hat?

Lekto: Das kann ich Ihnen auch nicht sagen, aber ich hatte häufig das Gefühl, dass er bei dem ganzen Prozess gar nicht anwesend sei.

Frager: Sie denken also, es hat nicht an dem Streit gelegen, den Sie mit ihm im Krankenhaus hatten?

Lekto: Hm, na ja …

Gaira: Mag mit ein Grund sein, dass er mit UNS nicht mehr geredet hat, aber deshalb keine Äußerung zu dem ganzen Tatkomplex? Schwierig. Vermutlich wollte er seine Buchverkäufe noch mal ankurbeln und den Mysteriösen spielen. Daher kein Kommentar zu unserer Abhandlung.

Lekto: Wie dem auch sei, es war sein gutes Recht, als Angeklagter zu schweigen.

Frager: Habt Ihr noch etwas, was euch auf der Seele liegt?

Gaira: Ja, falls Mister F., wo auch immer er sein mag, das hier liest, möchte ich ihm mitteilen:
Die andere Fassung ist jetzt geschrieben, sie ist fertig, denn wir hatten die Zeit.

Frager: Danke für das Gespräch.

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